Im September waren Prof. Telse Iwers und ich (Angela Rohde) zu Gast auf der europäischen Tagung für Gestaltpädagogik in Weilburg. Unser Auftrag: die praktische Anwendung der Introvision in pädagogischen Berufsfeldern präsentieren.

Zum Zusammenspiel von Introvision und Gestaltpädagogik erläutert Prof. Iwers für diesen Beitrag:

Der Gestaltansatz und die Introvision haben einige Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte, welche schon mancherorts zu gemeinsamen Aktivitäten geführt haben (vgl. z. B. hier: Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft). Die Gemeinsamkeiten bestehen insbesondere in einem sehr ähnlichen Menschenbild, welches den Ansätzen zugrunde liegt und der Bedeutung von Gewahrsein, Achtsamkeit und dem Konstatierenden Aufmerksamen Wahrnehmen.

Die meisten Tagungsteilnehmer sind im schulischen Lehrbetrieb tätig und stehen vor großen Herausforderungen: Mangelnde Motivation, Leseschreibschwäche, Konzentrationsmangel, Lernschwächen, niedriges Leistungsniveau auf der einen Seite und gute und leistungsfähige Schüler auf der anderen Seite. Die Liste der Auffälligkeiten ist lang, die Liste der Aufgaben aufgrund politischer, institutioneller und individueller Herausforderungen auch.

 

Impulsvortrag: Reflexion von Ungewissheit durch Introvision, Prof. Dr. Telse Iwers

Lehrende, so die Ausgangsthese von Prof. Iwers, sind in der Schule häufig dem Gefühl von Ungewissheit ausgesetzt, werden mit schwierigen menschlichen Situationen konfrontiert und sollen dabei ruhig und professionell bleiben. Diese Wahrnehmung deckt sich erwartungsgemäß mit den Erfahrungen der Anwesenden. Doch auch subjektiv-biographisch bedingte Einflüsse prägen das Erleben im Schulalltag, erklärt Iwers weiter. Dies führe zu „Suchbewegungen“ im pädagogischen Handeln und häufig auch zu als konflikthaft empfundenen Situationen. Sie werden häufig erst in der unmittelbaren Interaktion mit Schülerinnen und Schülern, mit der Klasse, im Kollegium oder der Schulleitung sichtbar. Aus der Introvisions- und Konfliktforschung ist bekannt, dass Unruhe schon deutlich früher entsteht, bevor sie von innen und außen wahrnehmbar ist. Häufig ist sie den Menschen lange nicht bewusst.
In der Lehrerfortbildung dauert die Debatte um die notwendige Professionalisierung an. Die Fähigkeit zu Selbstreflexion und Selbstregulation spielt in diesem Kontext eine große Rolle. Zudem ist Introvision nicht nur für Lehrende geeignet. Auch Schülerinnen und Schüler sind im Schulalltag Stress ausgesetzt. Streit in der Klasse, Leistungsdruck oder Prüfungsangst führen bei vielen von ihnen zu innerer Unruhe, Druck und Stressempfinden.

Durch die in der Introvision angelegte Selbstreflexion werden Menschen in die Lage versetzt, innere Konflikte wahrzunehmen und sie in der mentalen Selbstregulation zu erkennen und aufzulösen. Iwers stellt die von Prof. Wagner entwickelte Psychotonusskala vor, das Vorgehen des Konstatierenden Aufmerksamen Wahrnehmens (KAW) und berichtet u.a. aus der aktuellen Forschung. Sie fasst die Zielsetzung der Introvision wie folgt zusammen:

„Introvision führt zu einer imperativfreieren Wahrnehmung der Selbst- und Situationswahrnehmung und der Handlungsplanung und -durchführung und schult zugleich grundsätzlich in einer aufmerksamen konstatierenden Wahrnehmung.“ (Iwers, 22.9.2019)

Prof. Dr. MHEd. Telse Iwers, Professorin Pädagogische Psychologie, Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg, Prodekanin für Lehre, Forschung und Prüfungswesen, ausgebildete Gestaltpädagogin, Supervisorin und Mitbegründerin der Introvision. Prof. Iwers bildet an der Universität Hamburg angehende Lehrerinnen und Lehrer aus. Sie forscht seit Jahrzehnten zur Introvision, unter anderem zum Einsatz von Introvision im Lehrbetrieb. Sie hat zudem ein universitäres Schulungsmodell zur Introvision entwickelt. Die dauerhafte Integration der Introvision in die Lehrerfortbildung ist ihr ein wichtiges Anliegen.

 

Kompakt-Workshop: Innen klar – außen stark. Mit Introvision achtsam und gelassen durch schwierige Phasen, Dr. Angela Rohde

Im Workshop am Nachmittag ging es um die praktische Anwendung des Konstatierenden Aufmerksamen Wahrnehmens und der Introvision. Der Lehreralltag der Anwesenden brachte uns reichlich Anlässe, über Introvisionsarbeit zu sprechen. Wir konnten nahtlos an den Vortrag von Prof. Iwers anschließen.

Das stresst mich: Gelassenheitskiller – Sammlung aus dem Workshop

Mit Menschen, bei denen Reflexionsarbeit zur Profession gehört, kann man mitunter schnell zu tieferen Themen vordringen. Das war auch in Weilburg so. Die anwesenden Lehrkräfte kennen sich zum Teil schon seit Jahren und sind vertraut mit innerer Arbeit, Reflexion und kollegialer Beratung. Zum Start sammelten wir in der Gruppe Anlässe für Stress – persönliche Gelassenheitskiller – auf Moderationskarten. In dieser offenen, wertschätzenden Atmosphäre kamen wir intensiv ins Gespräch. Eine Teilnehmerin forschte interessiert nach, was aus Sicht der Introvision in der von ihr vorgetragenen Stresssituation getan werden sollte. Sie sprach von mehreren Störenfrieden gleichzeitig in ihrem Unterricht – eine Situation, vor der sie häufig steht.

Nun geht es in der Introvision nicht in erster Linie darum, Ratschläge auf der Handlungsebene zu erteilen, sondern darum, dass Ratsuchende die Problematik selbst entfalten. In einer angeleiteten Blitzintrovision kam sie schnell zum Kern ihres Themas. Die Gruppe verfolgte aufmerksam dem Vorgehen und erlebte, wie in der Introvision Ratsuchende gezielt bis hin zu ihrem Kernimperativ kommen. Auf dieser Basis konnten im Anschluss Ideen auf der berufspraktischen Ebene in der Gruppe ausgetauscht werden. So schloss sich der Kreis. Die Bereitschaft der Teilnehmerin, sich ihrem Problem in Gegenwart Anderer zu stellen, haben alle als große Bereicherung empfunden.