Auftaktveranstaltung: Begrüßungsansprachen.

Im Rahmen unserer Tagung "40 Jahre Introvision" im September 2017 gaben die drei Begründerinnen der Introvision unter dem Vortragsmotto "Introvision: Gestern, Heute, Morgen" interessante, persönliche Einblicke in ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Sie erzählten, wie sie zur Introvision gekommen sind, mit welchen Themen sie sich beschäftigt haben bzw. noch beschäftigen, und sprachen über ihre persönliche Vision für die Zukunft der Introvision.

Prof. Dr. Angelika C. Wagner, Leiterin Forschungsgruppe Introvision, Universität Hamburg

40 Jahre Introvision, das ist ihr persönliches Jubiläum. Keine ist so lange dabei wie die Erfinderin selbst. Gelegenheit also, für ein kleines Resümee. Zu Beginn ihres Vortrags ging es zunächst ganz praktisch zu. Prof. Wagner leitete eine kleine KAW-Übung (KAW = Konstatierendes Aufmerksames Wahrnehmen) an und stimmte alle Anwesenden ein auf das Thema des Wochenendes. Auf ihrer Reise durch die Anfänge der Introvision bis hin zu aktuellen Forschungsprojekten erhielten die Tagungsteilnehmer/innen anschließend spannende Einblicke in die Entwicklung der Methode an der Universität Hamburg. Dort hat sie unter anderem mit ihren Studierenden über viele Jahre viel Zeit darauf verwandt herauszufinden, was geschieht, wenn man in Konflikte hinein spürt, sie sich anschaut. 

Ich möchte mich bei etwa 7.000 Studierenden bedanken, die das mitgemacht haben. Manche waren skeptisch, manche waren begeistert, manche haben gesagt: ist das Vodoo?

Manche Diplom- und Doktorarbeit hat zur Weiterentwicklung beigetragen. Dazu zählen auch die Forschungsarbeiten ihrer Kolleginnen Prof. Telse Iwers und Prof. Renate Kosuch. Die spannende Frage lautet, wie Konflikte entstehen und wie man sie auflösen kann. So sind langsam die Anleitungen für das KAW entstanden, Übungen, um die Konflikte wieder los zu werden. Inzwischen findet man die Übungen so auch in den Lehrbüchern. Zwei grundlegende Theorien liefert Prof. Wagner ab zur Entstehung und zur Auflösung innerer Konflikte. Man bekommt als Zuhörer/in des Vortrags eine Ahnung von der Komplexität der Forschung, die sie durch anschauliche Beispiele für die Teilnehmenden zugänglich macht. 

Prof. Wagner findet auch Antworten auf Fragen wie: "Wie sind wir denn im Feld etabliert? Es gibt viele Methoden, wo stehen wir da?" Sie ist vom "Abenteuer Forschung" bis heute gleichermaßen fasziniert wie vom "Abenteuer Praxis":

Das Abenteuer bestand darin, dass wir und ich von Anfang an das Gefühl hatten, da hin zu schauen, der Angst ins Gesicht zu schauen, das kann etwas Auflösendes haben.

Inzwischen liegen über 60 empirische Untersuchungen vor, darunter auch einige kontrollierte, randomisierte Interventionsstudien. So steht die Introvision heute auf einer breiten theoretischen und empirischen Basis.

Für die Zukunft wünscht sich Prof. Wagner weitere Forschungsprojekte zur Wirksamkeit der Introvision und die weitere Verbreitung der Methode, "dass die Introvision wächst und gedeiht." 

Foto Prof. Dr. Angelika C. Wagner

Prof. Dr. Iwers, Prodekanin für Studium, Lehre und Prüfungswesen an der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg

30 Jahre lang ist Prof. Iwers schon dabei. Sie hat der Introvision ihren Namen gegeben und erläutert, wie sie darauf kam: "Introvision gestern - hieß 'imperativzentriertes Focusing". Introvision drückt das aus, worum es eigentlich geht: um den Blick nach Innen. Prof. Iwers kam aus der Praxis in die Wissenschaft. Als ausgebildete Gestaltherapeutin sah sie sich mit einem unreflektierten Methodenpluralismus konfrontiert.

Jeder hat quasi gesagt, ich mach ein bisschen hiervon, das ist auch noch eine tolle Methode, das nehm' ich auch noch. Und am Ende haben wir Klienten, die zwischen Behaviorismus und systematisch-lösungsorientiertem Ansatz alles in einer Stunde erlebt haben.

Sie hat sich von Beginn an mit integrativen Ansätzen der Introvision auseinandergesetzt. Ein großes Wirkungsfeld für sie ist neben vier weiteren "Introvision und Beratung". Sie hat an der Universität ein Qualifizierungsmodul "Integrative Introvisionsberatung" erprobt, ein Ansatz, der Studierenden deutlich mehr Selbstkompetenz, Sozialkompetenz und Methodenkompetenz bereitete und der für den Einsatz der Introvision im Praxisfeld damit hochaktuell ist. Ein weiteres Wirkungsfeld ist für Prof. Iwers Achtsamkeit: "Introvision und Achtsamkeit passen unglaublich gut zusammen."

Introvision und Achtsamkeit sind inzwischen auch in Unternehmen und Organisationen angekommen. Prof. Iwers stellt zur Diskussion, ob es bestimmte Paradigmen in Unternehmen geben könnte, die imperativisch aufgeladen sind, die das Team bzw. das Individuum in irgendeiner Weise beeinflussen. Im Kontext der aktuellen Debatte um die imperativische Forderung von Agilität in den Organisationen ist dies "ein schönes Wirkungsfeld für die Introvision."

Mit Blick auf die Zukunft betont Prof. Iwers insbesondere ihr Interesse, die Methode weiter zu verbreiten, verbunden mit dem bewussten Schritt raus aus dem sogenannten "Inner Circle". 

Es wäre gut, wenn viele Menschen anfangen, von extern Studien zu betreiben, damit diese Idee auch kritischer verbreitet wird, damit wir spüren: Wo funktioniert es und wo gibt es Grenzen, mit denen wir uns natürlich genauso bereitwillig auseinander setzen wie mit dem Guten.

Ihr ist zudem die fortlaufende Methodendiskussion und die Integration der Introvision ein besonderes Anliegen.

Foto Prof. Telse Iwers

Prof. Dr. Renate Kosuch, Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften, Technische Universität Köln

Prof. Dr. Renate Kosuch nutzt zu Beginn die Gelegenheit, ihren Kolleginnen und den vielen anwesenden langjährigen Praktiker/innen zu gratulieren. Allen voran Prof. Dr. Wagner, bei der sie sich vor 28 Jahren als Promovendin  beworben hatte. Heute arbeitet Prof. Kosuch in ihren Seminaren zur Personenzentrierten Beratung in Bachelor- und Masterstudiengängen in der Sozialen Arbeit am Transfer der Introvisionstheorie in die Lehre. Prof. Kosuch startete zudem gerade ein neues Modellprojekt "Gelassen, nicht alleine lassen" mit dem Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW und wird in den nächsten drei Jahren die Begleitforschung an der TH Köln verantworten.

Ihr Vortrag stand unter dem Motto "Lebendige Gelassenheit ist ansteckend".

..Auch und gerade in der Interaktion zwischen Menschen und im Kontext der Steuerung von Veränderungsprozessen ist es wichtig, zwischen Gelassenheit und Coolness zu unterscheiden. Gelassenheit heißt nicht „die Fassung wahren“ oder „emotionslos sein“. Die Vorstellung der Gegensätzlichkeit von verstandesgeleitet (=gelassen) und gefühlsgeleitet (=aufgeregt) ist verbunden mit der Idee der gelassenen Selbststeuerung ohne Gefühle. Lebendige Gelassenheit (...) wirkt „beruhigend“, „ansteckend“ oder „ausstrahlend“.

Sie hat ihren Vortrag auf der Tagung zum Nachlesen zur Verfügung gestellt: hier geht es zum Download auf introvision.uni-hamburg.de.

Update 1/2023: Der Vortragstext wurde inzwischen veröffentlicht. Das aktualisierte Dokument kann hier heruntergeladen werden: Zur E-Publikation von Prof. Dr. Renate Kosuch

Bildnachweise: Angela Rohde

Foto Prof. Dr. Renate Kosuch